Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Zinssatz von 6 %

1.1 Vorüberlegung 

Mit der Beschlussfassung am 18.08.2011 über den Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: I BvR 2237/14 und I BvR 2422/17) hat das Bundesverfassungsgericht endlich auf die lang erwartete Frage der Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlich festgeschriebenen Zinssatzes von 6 % Stellung genommen. 

Das Urteil überrascht, denn die Frage der Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes von 6 % ist im Ergebnis zweigeteilt beantwortet worden. Grundsätzlich darf der Zinssatz von 0,5 % für jeden vollen Kalendermonat weiterhin angewandt werden. Die Beurteilung ist ein wenig zweistufig. 

Der Gesetzgeber geht vom Grunde von einer Anpassungspflicht aus, sieht allerdings den Zinssatz von 6 % erst für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2018 als zulässig angewandt. Faktisch heißt dies, dass wir ab dem 01.01.2019 eine Verfassungswidrigkeit der Zinssätze mit einem Zinssatz von 0,5 % für jeden vollen Monat (6 % im Jahr) vorliegen haben. Die Verzinsung mit dieser zweigeteilten Verfassungsmäßigkeit ist insoweit vom Gesetzgeber bestätigt worden.

1.2 Inhaltliche Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes in der Entscheidung v. 08.07.2021

  • Grundsätzlich hält das Bundesverfassungsgericht die Vollverzinsung nach § 233 AO für zutreffend und sieht in der Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen sowie Steuernachforderungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
  • Der ursprüngliche Gesetzeszweck den Zinsnachteil auszugleichen, ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichtes bis in das Jahr 2013 auf jeden Fall als zulässig anzunehmen. Es dient dem Gesetzeszweck.
  • Die Vollverzinsung mit Nachzahlungen von 0,5 % pro Monat ist grundsätzlich eine starre, dem Gesetzeszweck nicht widerstrebende Verzinsung, die auch mit Art. 3 des Grundgesetzes vereinbar ist.
  • Sollte der Zinssatz diesen Prozentsatz von 0,5 % pro Monat ab dem 01.01.2014 weiterhin bestehen, sieht das Bundesverfassungsgericht auf jeden Fall hier verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Bedenken sind aber aus Sicht des Verfassungsgerichtes nicht soweit, dass sie zu dessen Nichtigkeit führen.
  • Für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2018 sieht das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung als insoweit rechtens an und verpflichtet den Gesetzgeber nicht zu einer gesetzlichen rückwirkenden Neuregelung.  

Ab dem 01.01.2019 soll hingegen eine Neuregelung dem Gesetzgeber auferlegt werden.

Diese Neuregelung zwingt ihn für ab dem 01.01.2019 offene Zeiträume zwingend bis zum 31.07.2022 eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen.

Beratungshinweis
Die oben genannten Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Vollverzinsung i.S.d. § 233a AO. Die sonstigen Verzinsungstatbestände wie Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen sind von dieser Neuregelung insoweit nicht betroffen. Die Unvereinbarkeit erstreckt sich ausdrücklich nicht auf diese Formen der Verzinsung. 

1.3 Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes

        1.3.1 Zinszeitraum 2014 bis 2018

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich entschieden, dass im Verzinsungszeitraum 2014 bis 2018 es nicht zu einer rückwirkenden Veränderung der Zinsverpflichtung kommen wird (Rz 249 des BFH-Beschlusses). Die Zinsfestsetzungen der Jahre 2014 – 2018 werden nach den Grundsätzen der bisherigen alten („verfassungswidrigen“) Regelung versteuert. Die Weitergeltungsverordnung der Regelung führt auch dazu, dass die alten Festsetzungsgrundsätze auch anzuwenden sind, wenn die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt.

        1.3.2 Verzinsungszeitraum ab 2019

Für den Verzinsungszeitraum ab 2019 hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich den Gesetzgeber aufgefordert eine Neuregelung zu schaffen, die spätestens am 31.07.2022 in Kraft tritt. Damit dürfte nach der Bundestagswahl diesbezüglich ein entsprechendes Druckpotential da sein. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ausgiebig mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat verfassungsrechtlich haltbar und denkbar sein kann oder wie eine solche Verzinsung anzulehnen ist.

        1.3.3 Zinssatz ab 2019?

Maßstab für eine solche Neuverzinsung könnte nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes auch die Koppelung an Basiszinsätze z.B. § 247 BGB sein. Ob das umgesetzt wird, wird Aufgabe der neuen Bundesregierung sein. Auch bei Änderung der Zinsfestsetzungen (beispielsweise § 233 Abs. 5) spielt die Unterteilung in die verschiedenen Zeiträume maßgeblich rein. 

Beratungshinweis
Auch hier gilt es zu beachten, dass die aufgeführten Neuregelungen des Bundesverfassungsgerichtes letzten Endes ausschließlich den Regelungen der Vollverzinsung vorbehalten, bleiben werden. 

        1.3.4 Anhängige Einspruchsverfahren

Die Finanzverwaltung wird alle Einsprüche gegen Zinsfestsetzungen von §§ 234 bis 237 AO aufgrund der vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes als unbegründet zurückweisen. Einspruch gegen Zinsfestsetzungszeiträume bis zum 31.12.2018 werden ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen.

 Beratungshinweis
Die Rechtslage wurde vom Bundesverfassungsgericht abschließend beschrieben, eine Neuausrichtung des Klageweges dürfte hier nicht geboten sein.

Für lfd. Rechtsbehelfsverfahren bei denen der Zinszeitraum ab dem 01.01.2019 gerügt wird, ist insoweit eine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (vgl. Rz 253 der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Die Festsetzung „neuer“ Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 4 AO auszusetzen.

Mit Datum vom 17.09.2021 hat die Finanzverwaltung zu diesem Thema Stellung genommen Das BMF-Schreiben wird Gegenstand des „Aktuellen Steuerrechts Herbst 2001″ sein. Insbesondere werden dort Hinweise zum praktischen Umgang in der täglichen Arbeit gegeben.

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